Heilende Räume aus Licht und Farbe
Regine Schulze feiert 20 Jahre Atelier und Malort
Davenstedt. Feine Kupferfäden glitzern im Licht der Wintersonne, das den hellen Raum mit den großformatigen Aquarellbildern in Pastellfarben durchströmt. „Das habe ich während meiner Fahrten nach Freiburg gestrickt, wo ich meine Ausbildung zur Bildhauerin machte. Es heißt ‚Hüllung’ und steht für Weiblichkeit, eins meiner prägenden Themen“, erzählt Regine Schulze. Die zierliche Frau mit den roten langen Haaren spricht mit klarer, leiser Stimme. „Licht und Farbe sind sehr wichtig für mich, ich arbeite auch viel mit Naturmaterialien“, erzählt die 54-jährige Künstlerin. „Dabei geht es mir immer darum, heilende und heilsame Räume zu schaffen.“ Während sie erzählt, klirrt es leise an der Fensterscheibe. Zwei Glaskreuze baumeln vor dem Fenster, in ihrem Kreuz blinkt es gelb. „Das ist Blütenstaub der Birke“, folgt die Künstlerin dem Blick und lächelt. „Ein anderes ganz besonderes Material, mit dem ich gerne arbeite, ist Bienenwachs“, weist sie auf ein etwa 30 Zentimeter großes quadratisches Objekt, das in einem anderen Fenster hängt. Regine Schulze malt schon seit ihrer Jugend.
Objekte aus Treibholz
„Eigentlich schon mein ganzes Leben lang“, präzisiert sie. „Dabei brauche ich das Zarte, Sanfte, Leichte, aber auch das Archaische. Es sind die Energieräume der Landschaften, die mich anziehen“, erklärt sie und fügt hinzu: „Die Kunst der Natur ist immer eine große Inspiration für mich.“ Ein Beispiel dafür ist das Objekt, das hinter ihr auf einer Anrichte steht. „Das ist ursprünglich Treibholz einer Korkeiche, das ich in Frankreich gefunden habe. Ich habe es mit dem Beil herausgearbeitet und dann wieder in die Rinde hineingesetzt. Und wenn ich abends auf dem Sofa sitze und es leuchtet in der Abendsonne, sieht es ein bisschen wie eine kleine Nofretete aus“, verrät sie mit einem kleinen Lachen. Regine Schulze liebt es zu reisen, zusammen mit ihrem Mann, der ebenfalls Künstler ist, bringt sie von den Lofoten einen Stein, von ihrem Lieblingsland Frankreich Fundstücke mit, die sie dann in ihrem Atelier zuhause bearbeitet. Daneben gibt es aber auch die Sozialpädagogin und Kunsttherapeutin, die seit vielen Jahren im sozio-kulturellen und gesundheitlichen Kontexte arbeitet. Und es gibt den Malort, der jetzt zwanzigjähriges Bestehen feiert. „Der Malort ist aus der Begegnung mit Arno Stern entstanden“, erklärt sie, als sie den Raum aufschließt. Ein kleiner Raum, dessen Wände davon zeugen, dass hier viele große und kleine Menschen Farbe auf Papier aufgetragen haben und dabei die Ränder übermalten. So entstand im Laufe der Jahre ein ganz eigenes geometrisches Muster in allen erdenklichen Farben.
Im Malort entstehen Bilder ohne Vorgaben
„Ich habe bei Arno Stern gelernt und er war sogar zwei Mal als Gast hier“, erzählt Regine Schulze. Der inzwischen 93-Jährige etablierte vor über sechzig Jahren den ersten Malort in Paris. Dorthin kommen Menschen jeden Alters, um unkommentiert frei malen zu können. Stern hat zudem auf seinen zahlreichen Reisen herausgefunden, dass Kinder weltweit dieselben Gebilde malen und daraus eine eigene Wissenschaft, die der Ausdruckssemiologie geschaffen. „Hier wird nicht gewertet, nicht beurteilt, sondern jeder malt aus sich heraus “, erklärt Regine Schulze, die mit diesem Konzept auch auf die Palliativstationen von Krankenhäusern geht. „Ich bringe auf einem Teewagen alles mit, was man zum Malen braucht. Es sind ganz besonders eindrückliche Begegnungen“, meint sie und wirft einen letzten Blick auf den Malort, bevor es zurück in die helle Wohnung geht – zu den pastellfarbenen Aquarellen, die jetzt in der Wintersonne leuchten.
von Sonja Steiner, erschienen in der Hannoverschen Allgemeine, Stadtanzeiger-West, 1.März 2018